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Riga
5.6.
Blankenfelde   in andrer Umgebung   Ostseestrand vor Riga   Strassenidylle   Zentrum   schmucke Häuser   Stadtmauer   Wachablösung am Nationaldenkmal  
Sa 5.6.
Die Straße führt weiter, oft dicht am Wasser, z.T. über und an den bewaldeten Dünen entlang. Es sind nur noch wenige km bis Riga, aber eine lange Durststrecke, bis ich wirklich im Stadtzentrum bin.
Eine wahre Völkerwanderung aus der Stadt heraus kommt mir entgegen. Ein Taxifahrer, den ich frage, was denn da los sei, meint: 'big party, jedes Jedes Jahr am 1. Samstag im Juni, Musik, ... eben big party'. Trotzdem ist die Stadt nicht leer. Die Touristen sind ja da, bevölkern die Straßen der alten Innenstadt und die vielen Straßenrestaurants.
Eine Aufschrift 'Internet' führt mich in einen dunklen Raum ohne Fenster, in dem vor einigen Bildschirmen Jungen sitzen und Abschießspiele spielen. Alle Plätze sind besetzt, aber man macht mir ohne dass ich das verhindern kann, einen frei und ich kann mal wieder meine Mails abholen. Die Nutzung ist gratis und ich kann mich nur gegen einen Obolus in die Clubkasse dankbar zeigen. Auch in Litauen geriet ich an einen solchen Club. Dort war der Administrator aber so geprächig und - wie man sich denken kann - des Englischen so mächtig, dass ich viel Informationen mitnehmen konnte.
Im Zentrum spricht mich ein Reiseradler an. Er will in die andere Richtung zum Nordkap. Wir tauschen Erfahrungen, Karten, Hosteladressen und Adressen. Mit dem Rad kann ich die ganze Altstadt schnell erkunden und u.a. eine Wachablösung am zentralen Monument - wahrscheinlich für die nationale Freiheit und Eigenständigkeit - verfolgen.
Dann dauert es wieder Stunden, den Weg aus der Stadt heraus zu finden. Hinweisschilder, wohin die Straßen führen, gibt es nicht. Immer nur weiße Pfeile auf blauem Grund für die Fahrspuren. Hat man nach der Sonne, den beiden Flüssen und der Bahnstrecke die richtige Autobahn gefunden, dann kommt auch ein Schild, das einem sagt, ob man richtig oder falsch gelegen hat. Das gleiche in der nächsten Stadt: nur Pfeile, keine Richtungen oder Straßennummern. Da hilft nur fragen. Könnte man russisch, wäre es auch einfach. Aber es genügen auch der Hinweis auf die Karte, die Richtungsangabe mit dem Arm, das Zeichen für Kreuzung, ihre Anzahl und die links/rechts Richtung.
Noch 30 km bis zur Grenze nach Litauen. Da ich zu viele Lats abgehoben habe, bin ich fest entschlossen, in der Grenzstadt ein Hotel zu nehmen oder auch vorher, sobald das Bett-Zeichen auftaucht. Es taucht aber nicht auf und die Grenzstadt zeigt sich als Straßenkreuzung mit 3 Häusern. Eine Polizeistreife hält Autos an. Warum, ist nicht zu erkennen. Der große Hinweis - auch in englisch - 'borderland' - und die Polizeipräsenz hält mich ein wenig davon ab, wild zu campen.
Ich frage 3 Jugendliche, die das Tun der Polizeistreife verfolgen, nach Hotel oder Camping. Mühsam ist aus einem der Jungen heraus zu bringen, dass vielleicht in 7 km Entfernung - wieder ins Landesinnere ein Hotel oder Campingplatz wäre. Soll ich dieser ungewissen Info folgen? Ich folge. Immer weiter geht es in die menschenleere Pampa. Immerhin einmal ein Ortshinweis nach Blankenfelde 9km. Das kommt einem doch richtig heimisch vor nach Ortnamen, die mehr zufällig aus Buchstaben zusammengewürfelt scheinen. Aber kein Ort, kein Mensch, kein Hotel oder Campingplatz. Ich bin entschlossen, wild zu campen. Aber ich brauche Wasser, wenigstens für die Hände. Dummerweise habe ich heute meine Trinkflasche mit Apfelsaft gefüllt. Zwei Flüsschen, die ich überquere sehen sehr sumpfig aus und sind auch, weil sie sehr tief liegen, kaum zugänglich. Es kommt ein Ort, d.h. 3 Häuser mit Bushaltestelle, an der 2 Jungen sitzen. Einer von ihnen meint, ja Campingplatz weit weg, vielleicht 3 km. Ich fahre immer weiter. Wie wird das enden? Es ist schon ca. 9 Uhr abends!
Dann kommt wieder eine Ortschaft. 3 Kinder und ein junges Mädchen. Sie verstehen nch einigem Hin- und Her, was ich suche, fühlen sich aber hilflos, mir etwas zu sagen. Das Mädchen bedeutet schließlich, dass ich den Jungen folgen solle. Einer von ihnen hat erkannt, dass ich ein Zelt mitführe und deutet darauf. Sie fahren mit ihren Mountainbikes einen längeren, abschüssigen Waldweg und dann öffnet sich der Wald. Ein Wiese mit 2 Tisch-Bank Einheiten öffnet sich: hier kann ich zelten! Und das Wichtigste: ein Flüsschen zugänglich, mit klarem Wasser erläubt mir, mich zu erfrischen. Ich bin gerettet.
Auf der Wiese stehen 4 Autos. Eine kleine Party scheint gefeiert zu werden. Sie beäugen meinen Aufzug aus Entfernung, wie ich das Zelt aufstelle. Ich nehme am freien Tisch in ihrer Nähe Platz, um zu Abend zu essen, das ich glücklicherweise noch in Riga in einem Hypermarkt zusammengestellt hatte.
Nach einiger Zeit prosten wir uns zu. Ich hatte Wein eingekauft. Dann bieten sie mir von ihrem Grill und Salat an zusammen mit einem Bier. Ich gehe zu ihnen rüber, bedanke mich auf deutsch und englisch und proste ihnen wieder zu. Einer von ihnen spricht etwas deutsch. Er war schon in Berlin auf einem Bundeswehrlehrgang. War eine schöne Zeit, meint er. Wir trinken auf die europäische Erweiterung. Einer der Jungen feiert seinen 26. Geburtstag. Es wird eine lange Nacht werden und eine laute. Die Autos können nämlich ziemlich laut den örtlich favorisierten Pop spielen. Das Geburtstagskind stellt mir jetzt auch eine Kerze hin, denn es wird tatsächlich dunkler. Kälter auch, was die Mücken glücklicherweise wohl auch merken.
So 6.6.
Die Nacht war wirklich kurz. Als ich trotzdem um 5:30 wach werde, sehe ich dass nur noch 1 Auto da ist und 3 Zelte aufgebaut wurden.
Ich breche auf, zurück zur Grenzstadt, die doch etwas umfangreicher ist, als die Kreuzung von gestern.
An der Grenze zu Litauen gibt es ein WC -gebührenpflichtig. Sonntag früh um 7 Uhr sitzt da eine Frau hinter einem Schalter und lässt WC-Benutzung für Lats, Latu oder Euro gegen Kassenbon zu. Man muss nur vorher wissen, wieviel Papier man braucht, das man vor Betreten der Anlage abreißen muss.
Litauen empfängt mich freundlich. Die Autostraße A12 ist eine Allee. Links und rechts im Straßengraben sind Kühe angepflockt, die schon beim Frühstück sind. An einer Kuh melkt ein Mann klassisch mit Händen, Eimer und Melkschemel. Aber das überraschendste und beruhigende: die Autos fahren langsam, gemächlich - auch LKWs und die altertümlichen Busse, die wahrscheinlich nicht anders können. Aus meiner Sicht von gestern schleichen sie geradezu dahin. Selbst auf mich wirkt sich das aus. Ich werde ruhiger und schalte einen Gang zurück. Später in Šiauliai, der ersten größeren Stadt ändert sich das etwas. Die Tendenz bleibt aber: man rast hier auf niedrigerem Niveau. Die Landschaft ist weiter wie seit Eestland, platt und langweilig. Die großen Ackerflächen scheinen hier noch stärker bewirtschaftet zu werden. In den Städten gibt es jetzt auch nich mehr nur die banalen blauen Richtungspfeile, sondern zumindest die Straßennummern werden angezeigt.
In Šiauliai ist wieder eine kleine Völkerwanderung. Diesmal zum Friedhof mit Blumen und Gießkannen. Heute ist wohl der Sonntag, der unserem Totensonntag entspricht?
Dass Litauen anders als die beiden anderen baltischen Länder katholisch ist, sieht man schon an den vielen z.T. Wegkreuzen. Aber auch an den pompösen Kirchen, mit denen sich z.T. sogar kleine Orte schmücken.
Ich bin heute früh los und habe ein großes Tagespensum (175 km) hinter mir. Ich bin von vornherein darauf aus, ein Hotel oder dergl. zu nehmen. Ich brauche eine Dusche und muss die Fahrkleidung waschen. In Raseiniai soll es lt. Karte ein Hotel geben. Richtig, bei der Einfahrt in den Ort kommt das Bett-Schild. Ich folge ihm. Das Gebäude, das es dann schließlich sein soll, sieht aber eher wie ein Verwaltungsgebäude aus. Es gibt auch keine Aufschrift. Der Nebeneingang führt aber in eine Kellerbar. Dort sitzen 2 Mädchen. Ich frage in englisch - kein Verständnis. Ich sage auch noch auf deutsch u.s. 'für eine Nacht'. Bei 'Nacht' funkt es bei der einen. Sie holt einen Schlüsselbund. Beid gehen mit mir in den 2. Stock des Hauses. Sie sperrt mehrere Flurtüren auf. Wir stehen in einem Wohnzimmer, andere Zimmer schließen sich daran an. Sie schlägt mit dem Arm einen großen Kreis und schreibt auf einen Zettel 150,- Lt. Das ganze Appartement für eine Nacht. Nein! So viel will und kann ich nicht bezahlen. Sie zeigt in einem anderen Flur ein Zimmer und schreibt 50,-.
Soviel habe ich nicht mehr. Bei Euro und Creditcard schüttelt sie den Kopf. Bei Bankomat nickt sie und lässt mich stehen.
Gut, ich suche in der Stadt nach einem Bankomat und finde nach einer kleinen Stadtrundfahrt einen solchen. Mit meiner MasterCard war ich bisher überall erfolgreich - so auch hier.
Zurück zum Hotel. Wir tauschen Schlüssel und Geld - alles paletti. Ich will gerade mein Gepäck vom Rad abmachen, da kommt sie wieder an - mit einem Reisepass. Na gut, ich hatte schon vorhin gefragt, ob Passport nötig sei. Ich gebe ihr meinen. Sie will ihn behalten. Das will ich auf keinen Fall, denn wer weiß, wann sie morgen wieder Dienst hat. Sie schreibt sich mühsam aus dem Pass irgend etwas ab. Wieder etwas später kommt sie noch einmal und wiederholt immer wieder: "Ich Bar arbeite ... 100". Schließlich wird klar, dass sie erst um 10 Uhr morgen wieder hier ist und sie das mit dem Schlüssel regeln will. Irgendwann ist alles geregelt z.B. auch, wo ich mein Rad unterbringen kann. Jetzt stehen nur noch die üblichen Prozeduren an: Duschen, Wäsche, Essen.
Mo 7.6.
Nicht nur Zelt aufstellen, auch zusammenpacken geht schneller als Hotel suchen und verlassen. Ganz davon abgesehen, dass ich in einem richtigen Bett länger schlafe und dann noch in alle Ruhe frühstücke. Irgendo hatte ich doch gestern einen Heißwasserkocher rumstehen sehen. Das Rad ist auch weg. Ich hatte es - so wie es mir das geschäftsführende Mädchen von gestern aben gezeigt hatte - in den Eingangsflur des 'Verwaltungshaushotels' gestellt. Dort hat es natürlich die arbeitende Bevölkerung gestört. Eine Frau in einem der Büros hilft mir sehr bereitwillig, es zu finden.
Dann geht es aber zügig los. Ich will heute versuchen, ob ich auch ohne russisches Visum in das Kaliningrader Gebiet einreisen kann. Gestern abend erreichte ich den Grenzort Kybartai.
Der Übergang für Fussgänger ist für meine Gepäcktachen etwas zu eng. Der litauische Grenzer sucht in meinem Pass nach einem Visum - natürlich vergeblich. Er will mich nicht durchlassen. Ich mache ihm klar, dass ich hoffe, auf der russischen Seite ein Visum zu bekommen. Er telefoniert. "Einä Minut bittä". Ich warte. Es kommt ein Offizier. Das gleiche Hin- und Her. Mein Pass wird mit Computer geprüft. Wieder wird telefoniert. Ein weiterer Offizier mit erweiterten Englischkenntnissen erscheint. Die Uniformen werden immer adretter. Dieser Beamte versucht mir klar zu machen, dass er mich nicht durchlassen kann und dass die russische Seite nicht authorisiert ist, Visa auszustellen. Ich sage, ich will es versuchen. Er weist darauf hin, dass die russische Seite dies vielleicht als Grenzverletzung auffassen könnte und sie mit mir nicht gut umgehen könnten. Schließlich lässt er mich durch die Klapptürsperre.
Auf der russischen Seite sucht die freundlich-dicke Grenzbeamtin vergeblich nach Visum. Wieder wird telefoniert. Es kommen russische Grenzer. Sie geleiten mich in einen Raum, der mit Kinositzgruppen, Pult und Russlandkarte aussieht wie man sich einen sowjetischen Polit-Schulungsraum vorstellt. Ich kann mich setzen. Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass ich mit dem Rad ganz außen rum aus Deutschland angereist bin. Der Raum füllt sich mit locker schwatzenden, lachenden staunenden, in Felduniformen gekleideten Menschen. Ein ziviler Dolmetscher erscheint. Er meint, ein Visum würde vielleicht ausgestellt werden können. Keine Rede von nicht möglich. Ich betone auch immer, dass ich ein Visum von vornherein nicht beantragen konnte, weil meine Reise mit Rad kein genaues Grenzübergangsdatum anzugeben ermöglicht. Meine Erwartungen steigen, zumal eine Beamtin schon Vordrucke aus einem Schrank holt und einen Stempel anhaucht. Dann erscheint offensichtlich ein (Standort-)Ältester. Er will wissen, wie lange ich für den Transit brauche. Ich sage vorsichtshalber 3 Tage. Dann wieder warten. Nach einiger Zeit eröffnet mir der Dolmetscher, dass ich doch erst in Vilnius ein Visum holen müsste. Es würde wohl nur einen Tag dauern. Aber Vilnius ins 175 km weit weg.
Ich werde diesmal vom Dolmetscher zur litauischen Seite über die LKW Durchfahrt zurückbegleitet und dem litauischen Offizier übergeben. Der bittet mich, doch den Fußgängerübergang zu benutzen und ich muss die gleiche Prozedur durchlaufen, wie wenn ich nach Litauen einreise. Das war's also. Es geht absolut nicht ohne Visum. Der Dolmetscher versuchte auch auszudrücken, dass eine überörtliche Stelle meinen Versuch abgelehnt hat.
Na gut, ich hatte es auch erwartet. Inzwischen war es 21 Uhr geworden und ich musste schleunigst einen Zeltplatz suchen, denn die Dämmerung tritt jetzt schon deutlich früher ein.
Glücklicherweise kommt nach kürzerer Zeit ein Rastplatz, an dem frisches Wasser aus einem offenen Brunnen sprudelt. Damit ist die wichtigste Voraussetzung für ein Zelten an günstiger Stelle gegeben. Diese find ich dann am Rande eines Dorfes auf einer frisch gemähten Wiese.

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